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17. Juli 2024 | Kommentar der Woche | 

Kathrin Karban-Völkl: Echt jetzt?


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Kommentar der Woche:

Echt jetzt?

Kathrin Karban-Völkl | Kemnath (Foto: basis-online.net)

Kathrin Karban-Völkl | Kemnath (Foto: basis-online.net)

 

 

 

 

 

Kathrin Karban-Völkl

Echt jetzt?

17.07.2024

In unserem Büro steht eine Zimmerpflanze. Schön gewachsen, erstaunlich (immer)grün und mit der Figur eines selbstbewussten Mammut-Bonsais. Schon viele standen davor und staunten über meinen grünen Daumen. Jedes Mal gibt es dann den ungläubigen Aha-Effekt, wenn ich bekenne, dass es eine Kunstpflanze ist. Zugegeben, das passt gar nicht zu mir. In meiner Jugend träumte ich von einem Blumenladen. Wer weiß, ob daraus irgendwann doch noch etwas wird. Was ich definitiv nicht verkaufen würde: Kunstpflanzen. Und jetzt hab ich selber eine. Wie es dazu kam? Der Inneneinrichter hatte die Idee, mit dem hochgewachsenen Bäumchen den dunklen Flur aufzuhübschen. Meine Gegenargumente waren zwergenhaft und nun steht die grüne Kunst da und lacht mir täglich gekünstelt entgegen.

Noch während ich darüber nachdenke, wieder einmal die Blätter abzustauben, kommt mir ein ganz anderer Gedanke: Wie ist das eigentlich mit dem Echtsein? Echtsein ist etwas Mutiges. Und Mut muss man üben. Hätte ich einen Wunsch, würde ich der Menschheit ein Portiönchen mehr Echtheit in die Wiege legen. Ja, ich glaube, dass Echtsein nicht immer einfach und manchmal sogar echt anstrengend ist. Auch für die Menschen um uns herum hat es oft genug etwas Unbequemes an sich. Dann nämlich, wenn wir uns nicht von unserer vorgegaukelten Seite zeigen, sondern offen, ehrlich und gerade heraus sagen bzw. tun, was wir denken. Mein Opa kommt mir in den Sinn. Sehr oft war das Haus voller Gäste. Um diese dann irgendwann nach Hause zu schicken, hatte er seine eigene Methode: zu später Stunde oder einfach dann, wenn es ihm reichte, holte er die gesammelten Mäntel der Gäste und legte diese ohne Worte über einen freien Stuhl. „Upps!“, wird da mancher denken. „Wow“, vielleicht ein anderer. Was Adolph Freiherr von Knigge zu diesem Rauswurf sagen würde? Möglicherweise wäre es der Hinweis, den Rauswurf galant zu gestalten.

Weshalb mich der Gedanke des Echtseins aktuell so umtreibt? Weil ich glaube, dass unsere Welt echte Menschen braucht. Menschen, die ihre (gut überlegte) Meinung zur Diskussion stellen. Menschen, die echt Position beziehen. Menschen, die echt zu Schuld und Versäumnissen stehen. Und auch solche, die Schuld vergeben. Echtsein also auf beiden Seiten. Ich glaube sogar, dass nur dort, wo wir uns echt menschlich begegnen, das Leben in die Tiefe geht und echt berührt. Weil dann echtes Interesse, wohlwollende Akzeptanz und zukunftseröffnende Toleranz in der Luft liegen. Spontan kommt mir ein Gebetsgedanke in den Sinn: „Hier stehe ich und kann nicht anders, als echt zu sein. Hilf du mir dabei!“ Ob meinem Bäumchen noch zu helfen ist? Wohl eher nicht. Denn eine echte Pflanze wird es wohl nie werden. Oder doch? Denn echt ist es ja. Sogar echt kunstvoll und echt schön.

Kathrin Karban-Völkl
Kemnath – Texterin www.diewortmacherei.de

Quelle: www.basis-online.net 
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung

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