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20. Juni 2024 | Kommentar der Woche | 

Eva-Maria Baumgarten: O Glaubensvater, sieh die Not - oder: Wer gibt hier den Ton an?


(Foto: Foto: Sr. M. Jutta, pixabay.com)

(Foto: Foto: Sr. M. Jutta, pixabay.com)

Kommentar der Woche:

O Glaubensvater, sieh die Not - oder: Wer gibt hier den Ton an?

Eva-Maria Baumgarten | Hilders-Eckweisbach (Foto: basis-online.net)

Eva-Maria Baumgarten | Hilders-Eckweisbach (Foto: basis-online.net)

 

 

 

 

Eva-Maria Baumgarten

O Glaubensvater, sieh die Not
oder: Wer gibt hier den Ton an?

19.06.2024

Entschuldigung, ich muss ein bisschen ausholen und will Sie, liebe Leserinnen und Leser mitnehmen auf eine Wallfahrt, wie sie seit Generationen stattfindet und doch heute ihre ganz eigene Botschaft hat. Vielleicht keine ganz neue, aber manchmal braucht es die neue Erfahrung, um sie neu zu verstehen…

Mitten in der Nacht wollten wir in unserer Pfarrei loslaufen, um an der jährlichen Wallfahrt zum Bonifatiusfest teilzunehmen. Die Pfarreien der Stadt und aus dem Fuldaer Land machen sich dazu in einer Sternwallfahrt auf den Weg zum Grab des Heiligen Bonifatius.  Zugegeben, es gibt attraktiveres, als um 2:00 Uhr aufzubrechen, um knapp 30 km durch eine viel zu frische Juni-Nacht zu laufen, aber während in den vergangenen Jahren immer eine doch recht stattliche Pilgergruppe zusammenkam, wollte in diesem Jahr einfach niemand mitlaufen. Ich bin ehrlich: Zum einen war ich darüber sehr traurig, weil ich viele Gründe gehabt hätte, diese Wallfahrt auf mich zu nehmen, zum anderen war ich nicht böse darum, mir diese Strapazen nicht „antun“ zu müssen. Auf die Mitfeier des Bistumsfestes wollten wir dennoch nicht verzichten, denn Kirche als Bistumsfamilie zu erleben, hat etwas stärkendes und ist eine gute Gelegenheit viele Menschen zu treffen. Kurzerhand entschlossen wir uns mit einer Handvoll Leuten, uns wenigstens für die letzten fünf Kilometer der Wallfahrt vom Ortsrand Fulda einer anderen Gruppe anzuschließen. Einfach mitlaufen, statt die Fäden in der Hand und die Verantwortung für den Ablauf zu haben, ist auch mal eine gute Erfahrung. Aber weit kamen wir nicht, bis wir an der ersten Kreuzung auf die nächste Gruppe stießen. Diesmal eine Gruppe mit Blaskapelle, einer großen Messdienerschar und vielen Wallfahrerinnen und Wallfahrern. Wie schön! Gemeinsam schließen wir uns dieser Wallfahrtsgruppe an, da macht das Singen und Beten gleich noch mehr Freude. Soweit so gut. An der übernächsten Kreuzung eine ähnliche Situation: Wieder nähert sich eine Wallfahrtsgruppe, ebenfalls ausgestattet mit Wallfahrtsmusikern. Diesmal sorgt die Polizei allerdings dafür, dass wir zunächst die Kreuzung passieren und dann mit einem Abstand von 50 Metern die nächste Gruppe folgt. Während wir mit dem Lied „Gott Vater sei gepriesen“ die Heiligste Dreifaltigkeit ehren, besingen die anderen die Gottesmutter. Nein, natürlich wartet man nicht, bis wenigstens die einen mit ihrer Liedstrophe fertig sind, sondern es geht ineinander und durcheinander. Ich laufe quasi zwischen den beiden Wallfahrten und weiß gar nicht mehr, wem ich jetzt meine Aufmerksamkeit schenken soll. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, das nächste Mal laufen wir lieber wieder alleine. Ich bin genervt. Sehr sogar!

Im Blick auf viele Veränderungsprozesse in der Kirche geht es mir im Moment ähnlich. Da sind Menschen – Kirchennahe und die eher Distanzierten, die Traditionellen und die Liberalen, diejenigen, die schnellen Schrittes am „Umbau“ der Kirche mitwirken und jene, die erstmal kritisch abwarten wollen; Amtsträger, Hauptberufliche, Gläubige, ehrenamtlich Engagierte, Kirchgänger und solche, die sich fragen, ob es nicht klüger wäre, aus der Kirche auszutreten. Jeder ist auf seinem Weg unterwegs, manche schließen sich zusammen, während man zu anderen lieber Abstand hält oder sich fragt, ob man es schafft, vor ihnen am Ziel zu sein, wenn man nur ein bisschen schneller läuft. Die einen haben die besseren Lautsprecher und meinen damit den Ton angeben zu können, während die anderen den Dirigenten bei sich haben, dessen Einsatz den Takt vorgibt. Scheinbar singt jeder nach seiner Lieblingsmelodie ohne dabei auf den anderen zu hören. In nicht wenigen Gruppen und Gremien in unserer Kirche erlebe ich das und es kostet Mühe, dieses eingespielte Rollendenken aufzubrechen, den anderen aus der Schublade zu holen und den eigenen Standpunkt hinterfragen zu lassen.

Bei unserer Wallfahrt ist der „Gamechanger“ das „Bonifatiuslied“. In 16 barocken Liedstrophen wird die Vita des Hl. Bonifatius besungen. Nach und nach haben die beiden Blaskapellen mitsamt den Wallfahrern gelernt, aufeinander zu hören. Blaskapelle 1 spielt die jeweilige Liedstrophe und erst nach dem letzten Ton beginnt Blaskapelle 2 zu spielen, während Wallfahrt 1 zu den Tönen von Blaskapelle 2 singt. Jetzt komme ich in Wallfahrtsstimmung, die Melodie trägt Schritt für Schritt. Und je näher wir unserem Ziel kommen, desto mehr Wallfahrtsgruppen mit ihren Musikern sind aus allen Himmelsrichtungen zu hören. Alle singen dasselbe Lied, doch manche sind erst bei der 8. Strophe, während andere bereits die 14. singen.

Seit Jahren befinden wir uns in den deutschen Diözesen in Strukturprozessen. Ganz unterschiedlich sind da die Vorgehensweisen, aber allerorts ist spürbar, dass der Zusammenschluss von Gemeinden fast unausweichlich ist. Ich darf in unserem Bistum erleben, dass die Situation vor Ort in den Prozessen eine große Rolle spielt. Manche hätten da gerne eine große Einheitlichkeit in möglichst engem Zeitrahmen nach „Schema F“.

Meine Wallfahrtserfahrung lässt mich fragen: Sind wir uns des Ziels bewusst? Können wir uns als Kirche eigentlich daran freuen, dass andere auch auf dem Weg sind? Können wir es aushalten, dass nicht alle das gleiche Tempo gehen? Sind wir bereit einander aufzunehmen, um gemeinsam Gott die Ehre zu geben? Können wir auf die anderen hören, bevor wir meinen, den Ton angeben zu müssen? Hat der oder die andere eine Chance auszureden, oder meine ich, seine oder ihre Worte längst zu kennen? Haben wir wirklich den Willen, miteinander um gute Wege zu ringen?

Nachdem die einzelnen Gruppen am Grab des Heiligen Bonifatius vorbeigezogen sind, füllt sich der Domplatz mit Wallfahrerinnen und Wallfahrern. Gemeinsam feiern wir Eucharistie. Einheit und Gemeinschaft sind ebenso spürbar wie Freude und Dankbarkeit für den Glauben, den Bonifatius vor über 1250 Jahren in unserem Land verkündet hat. Und am Ende erklingt noch einmal – mit einem großen Orchester verschiedener Musikvereine, 6000stimmig und doch gemeinsam das Bonifatiuslied mit seinem Refrain: „Für uns, die wir noch ringen nach unserm Heil im Erdental, bitt Gott, dem wir hier singen, dort in dem großen Himmelssaal, o heilger Bonifatius“. Er hört es bestimmt…

Eva-Maria Baumgarten
Gemeindereferentin im Pastoralverbund St. Michael Hohe Rhön | Bistum Fulda

Quelle: www.basis-online.net 
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung

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