Seelsorgerliche Kontakte mit Frauen


Artikel 2 von 4 aus der Serie: Der Priester Josef Kentenich und die Frau

Schon für die Jungen im Studienheim in Schönstatt war klar, dass bei ihrem Spiritual Pater Josef Kentenich nicht die Traditionen und Regeln im Vordergrund standen. Im Blick waren sie selbst als junge Menschen. Sie spürten, dass sie wirklich als einzelne gemeint waren. Das war neu und anders als die seitherige Praxis. Seelsorge hatte bei Josef Kentenich von vornherein einen anderen Duktus. So zielte das Bußsakrament zwar auch, aber nicht primär auf Sündenvergebung. Mit ihr verbunden war ein Neuanfang, der auf Ideale, größere Ausrichtung und immer auch kleine Ziele konzentriert war. Es ging in der Seelsorge eigentlich um Anleitung und Hilfe zur Selbsterziehung. Hier war ein Priester, der sich nicht als „Verwalter von Sakramenten“, sondern als Pädagoge verstand.

Besser Kennenlernen und Verstehen wollen

Das spürten auch die Frauen, die ab 1920 zu Schönstatt gestoßen waren. Was faszinierte waren die Ziele, die Ideale, die Pater Kentenich in seinen Predigten und Vorträgen vor Augen stellte. Dies tat er nicht mit moralisierenden Hintergedanken, sondern als Weckruf zum Nachdenken über die Herausforderungen der Zeit. Die einzelnen sollten spüren, dass sie sich selbst ernst nehmen und entwickeln sollen. Die Frauen waren zurückhaltendvorsichtig, ja kritisch und hörten zuerst hin, was dieser Priester in seinen Vorträgen zu sagen hatte. Das waren sie nicht gewohnt, dass einer von Perspektiven und Idealen sprach, die in den Zuhörerinnen Neugier auf sich selbst, Selbsterkenntnis und vor allem Sehnsüchte für den persönlichen Weg weckten. Immer mehr trauten sich nach solchen Ausführungen zu ihm, etwa in Exerzitien zur Beichte. Nie ging es dann im Bußsakrament nur um richtig oder falsch, den Vorgaben der Kirche entsprechend. Seine Seelsorge, sein Zuhören und Nachdenken wollten immer die Lebensumstände mit sehen. Eine umfassende Sicht von dem, was in der Aussprache zutage kam, gehörte in der seelsorglichen Begegnung immer dazu. Keine ad hoc Erledigung, sondern möglichst langfristigere geistliche Begleitung durch diesen Seelsorger wurde zum Wunsch vieler. Oft betonte Pater Kentenich, dass in den Tagungen und Exerzitien nicht seine Vorträge das wichtigste waren, sondern die vielen Einzelgespräche bis weit in die Nacht hinein. Zunehmend übernahm er auch die Geistliche Begleitung einzelner Frauen. Er hatte einfach seelsorgerliches Interesse an der einzelnen Person!

Seelsorger als ganzer Mensch - für ganzheitliche Selbstwerdung

Viele Voraussetzungen für einen guten Umgang mit Menschen und vor allem mit Frauen, liegen schon in der Persönlichkeit dieses Priesters. Durchforstet man längere und auch spontane Zeugnisse von Frauen, ergeben sich immer wiederkehrende Merkmale, die als anerkennend und wohltuend empfunden wurden. Viele bezeugen, was er selbst als Grundhaltung formuliert: „In Ehrfurcht vor jeder Eigenart“. Das spürten viele Frauen bei ihm. Manche beschreiben und betonen das Erlebte so: „Jede Art anerkannte er.“ Bedenkt man historisch die Umstände und die oft üblichen Praktiken in der Pastoral, so war solche persönliche Zuwendung wohltuend und notwendig um in der immer stärker werdenden Herausforderung oft vereinzelt als Christin leben zu können.

Dabei agierte Pater Kentenich aus empfundener Verantwortung für die einzelne Person, die sich ihm öffnete. Immer ging es um das Gegenüber und dessen Wachstum in der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Klar, dass mit der Zeit solche Begegnungen nie nur einfach, harmlos und friedlich verliefen. Pater Kentenich konnte auch seine strenge Seite anwenden, wenn er Veränderungsbedarf sah. Ernst, Sorge vor Fehlhaltungen und damit auch Ansporn zur Korrektur wurden sehr wohl von manchen erlebt. Doch waren sie eingebettet in das Wissen um die positiv erfahrene, gut meinende persönliche Beziehung zu diesem Priester

Kleinkram ist nicht Kram

Offenes menschliches Interesse und Mitfühlen mit dem, was ihm begegnete und erzählt wurde, waren Ausdruck seiner Ehrfurcht und Suche nach Klarheit. Selbst kleine Begebenheiten, Erzählungen mit ganz alltäglichen Vorkommnissen, waren für ihn nicht unwichtig. Als sich eine Frau wegen manch gehörter Bagatellen bei ihm für andere Frauen entschuldigen wollte, dass er sich so viel Kleinkram anhören müsse, reagierte Pater Kentenich sehr streng, ja barsch: „Das ist kein Kram!“ Ähnlich konnte er reagieren, wenn er nach Wochen von Exerzitien und Beichtgesprächen erholungsbedürftig aussah. „Nein, die Exerzitien und das Zuhören sind Erholung.“ konterte er immer wieder. Dahinter steckte nicht Oberflächlichkeit oder überlegene Demonstration eigener Leistungsfähigkeit. Nie war es Weichlichkeit oder gefälliges Zuhören. Es war seine Sensibilität und einfach sein Selbstverständnis als Priester, zum Dienst an anderen möglichst stets verfügbar zu sein. Er sah es als seine Hauptaufgabe, als persönliche Leidenschaft, wirklich Menschen durch offene Zuwendung zu dienen. Und das war im Umgang mit Pater Kentenich zu spüren.

Es geht um den persönlich liebenden Gott, nicht um den Seelsorger

Nur Selbstbeherrschung und Selbstlosigkeit erreichen, was solche Seelsorge intendiert. Ein großes Anliegen war ihm dabei immer die ganz übernatürliche Einstellung und Haltung all derer, die ihm anvertraut waren „Jenseitige Menschen, ganz jenseitige Menschen müssen wir werden“ betonte er immer wieder. Dabei trennte er nie zwischen dem, was alltäglich passieren konnte und der Konzentration auf Gottes Wege. Das Sakrament der Buße transzendierte und neutralisierte nicht einfach die Person, die vor ihm war. „So nahe habe ich das Übernatürliche und das Natürliche noch nie beieinander erlebt“ berichtete eine Frau nach einem Beichtgespräch. Es geht um die Entdeckung, dass Gott den einzelnen ganz persönlich meint und führen will. „Die Hauptperson sind nicht Sie, sondern der Hl. Geist“ konnte er Priestern für die Seelsorge ins Stammbuch schreiben. Priester sollen dienend helfen, einen persönlichen Kontakt zu Gott zu pflegen. Dafür galt es oft, vorhandene Ängste und eingeimpften Druck aufzuarbeiten. Das Gottesbild, das Pater Kentenich vermittelt, betont die Liebe. Um das ins Lebensgefühl zu bekommen und eine Beziehung zu dem liebenden Vatergott aufzubauen, brauchte es Zeit. Deshalb war es ihm selbstverständlich, nicht nur auf einzelne Begegnungsmöglichkeiten einzugehen, sondern zum Beispiel auch Telefon- und Briefkontakt zu halten, wo es gewünscht war. Eine Frau schildert - und spricht dabei gewiss für viele, wie zugewandt sie Pater Kentenich erlebte: „Den einzelnen Menschen gegenüber verband er eine herzliche, menschlich-väterliche Nähe mit einer liebend ehrfürchtigen Treue“. Väterlichkeit und korrespondierende, erwachsene Kindlichkeit werden so nicht zu einem Machtverhältnis, sondern zu einer Beziehung erlebter Güte und auch Strenge – aber immer in Liebe.

Freiheit der Herzensbindung

Mit der weiteren Gründer- und Erziehungsaufgabe in seinen Gemeinschaften öffnete sich für Pater Kentenich ein weites Feld, um das zu verwirklichen, was ihn seit seiner eigenen Jugendzeit beschäftigte: das Eintreten für Wahrheit und Freiheit. Jede Begegnung und jede Begleitung von einzelnen und Gruppen musste immer auf dem Fundament der Freiheit geschehen. Wenn Korrektur oder Kritik angesagt war, musste ihr Hintergrund die Suche nach Wahrheit sein, was in der Seelsorge Suche nach Gottes Plänen meinte. Mit den Frauen, die sich ihm anvertrauten oder die in Erziehungsprozessen mit ihm zu tun hatten, ging es immer darum, die Persönlichkeit zu suchen und zu formen, die von Gott gedacht war. Dies war weder für Pater Kentenich einfach, noch für die Frauen selbst. Voraussetzung war, dass Frauen in persönlicher Entscheidung ihre eigenen Suchbewegungen im Herzen frei mit ihm verbanden. So wurde Begleitung stets zu einem gemeinsamen Weg, geprägt von gleichzeitiger Distanz und Nähe.

Im Übrigen

Was hier zu seelsorglichen Kontakten mit Frauen gesagt ist, gilt natürlich vielfach auch für seelsorgliche Arbeit mit Jugendlichen und Männern. Dass Pater Kentenich aber lange vor den großen Veränderungsprozessen im Frauenbild so offen, entschieden und selbstverständlich mit sehr unterschiedlichen Frauen in wertschätzendem Kontakt war, ist wichtig. Er konnte vieles umsetzen, was er so selbst beobachtet und von Frauen gelernt hatte, auch für seine persönliche Entwicklung als Seelsorger.   

(Hinweis: hier sind nur erlebte und aufgeschriebene Zeugnisse von Frauen verwendet und zitiert.)


Beiträge zu einem umfassenderen Bild in der Causa Kentenich

In Kooperation verschiedener Personen aus der Schönstatt-Bewegung werden im Auftrag des Generalpräsidiums des internationalen Schönstattwerkes Themen bearbeitet, die Pater Josef Kentenich, den Gründer der Bewegung, betreffen und die derzeit angefragt sind. Dies geschieht aufgrund des jeweiligen aktuellen Kenntnisstandes, der sich aus den zugänglichen Dokumenten und Schriften ergibt. Die Ergebnisse der Forschungen und Gespräche sind jeweils in themenbezogenen Artikeln zu lesen. Ihre Vorschläge für Themen weiterer Artikel können Sie gerne senden an: mk@schoenstatt.de.

PressOffice Schoenstatt International

 

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